Bretten im Wandel der Zeiten

Im Mai des Jahres 2017 feierte die Große Kreisstadt Bretten das 1250jährige Jubiläum ihrer urkundlichen Ersterwähnung. Im Mai des Jahres 767 wurde „breteheim“ anlässlich der Schenkung eines fränkischen Adeligen im Codex des Klosters Lorsch erwähnt. Von der damaligen Urkunde bis zur Gegenwart erstreckt sich die Geschichte der Stadt. Betrachtet man diesen Geschichtsverlauf, so schaut man auf einen Weg, der außerordentlich steinig war. 

Nun ist der Brettener Boden nicht besonders steinig – vielmehr verleiht eine Löß-/Lehmschicht unterschiedlicher Dicke gemeinsam mit einem relativ milden Klima (das fast schon an jenes der Oberrheinebene heranreicht) der Gegend um Bretten eine Fruchtbarkeit, die man sich andernorts durchaus wünschen würde. Wenn im Titel dieses Aufsatzes dennoch von einem „steinigen Weg“ die Rede ist, so liegt darin eine gewollte Metaphorik: die „Steine“ verweisen auf die oft unsäglichen Mühen der Bewohner von Bretten, sich trotz der an sich ausgezeichneten naturräumlichen Verhältnisse im Verlauf der Geschichte zu behaupten. 

Die Anfänge

Fruchtbarer Boden und günstiges Klima führten schon vor rund 9000 Jahren zu ersten Ansiedlungen von Menschen im Brettener Raum. Die ältesten Siedlungsspuren stammen aus der Zeit um 7000 v. Chr. Aus den entsprechenden Grabungsfunden lässt sich allerdings noch keine kontinuierliche Besiedelung ableiten, vielmehr ließen sich Stämme und Völkerschaften unterschiedlichster Herkunft für kürzere und längere Zeiträume auf der Gemarkung des heutigen Brettens nieder, zogen irgendwann weiter oder wurden vertrieben. Seit dem ersten nachchristlichen Jahrhundert gibt es Hinweise auf eine römische Besiedelung und über das Gebiet, auf dem später einmal Bretten entstand, verlief eine Römerstraße vom Rhein zum weiter östlich gelegenen Limes. Doch all dies stützt sich ausschließlich auf Interpretationen archäologischer Grabungen und gibt noch keinen Aufschluss über die aus schriftlichen Quellen belegbare Geschichte Brettens.

„Geboren“ wurde die Stadt in der Zeit der Völkerwanderung, nach der Vertreibung der Römer durch germanische Stämme. Es war eine Geburt aus Blut und Tränen. Anzunehmen, aber nicht konkret belegbar, ist für das vierte und fünfte nachchristliche Jahrhundert eine zeitweilige Besiedlung des Brettener Raumes durch die Alemannen. Älteste Spuren einer dauerhaften Besiedelung der Gemarkung (in Form mehrerer fränkischer Reihengräber) stammen aber erst aus der Zeit um 500 n.Chr. Sie verweisen darauf, dass die Ortschaft Bretten eine fränkische Gründung ist. Voraussetzung der fränkischen Landnahme im Raum Bretten und im umgebenden Kraichgau waren zwei blutige Schlachten, bei denen die Franken 496 bei Zülpich und 506 bei Straßburg die Alemannen besiegten und nach Süden abdrängten. Aus den folgenden rund 270 Jahren allerdings liegen keine weiteren Zeugnisse zur Geschichte von Bretten mehr vor – schon gar nicht solche in schriftlicher Form.

Die Taufurkunde

Vor dem Hintergrund der früheren Bodenfunde und vor allem angesichts der Tatsache, dass bereits ab der Zeit um 500 n. Chr. die Existenz einer dauerhaften Siedlung auf dem Gebiet der heutigen Brettener Altstadt anzunehmen ist, kann man das Dokument aus dem Jahr 767, in dem Bretten erstmals urkundlich und mit Namen erwähnt wird, keinesfalls als „Geburts-“ sondern allenfalls als „Taufurkunde“ der Stadt ansehen.  Hierauf wies der Historiker Alfons Schäfer bereits 1977 in seinem Standardwerk „Geschichte der Stadt Bretten“ ausdrücklich hin, indem er formulierte: „Die Siedlung Bretten ist bedeutend älter, als dieses früheste schriftliche Zeugnis ihrer Existenz.“1 In der besagten Urkunde aus dem Codex des Klosters Lorsch, die das Datum vom 7. Mai 767 trägt, bezeugen die Lorscher Mönche eine Schenkung des fränkischen Adeligen Wigilo an ihr Kloster. Wigilo und seine Ehefrau Hartrud übereigneten ihnen „um ihres Seelenheiles willen“ demnach „Hufengüter, Häuser, Gebäude, Wiesen, Wald und Wasser“ in „Breteheimer Mark“2, d.h. auf Brettener Gemarkung.

Zugleich markiert die Urkunde auch den Beginn des klösterlichen Einflusses und Grundbesitzes im Brettener Raum: in den folgenden sieben Jahrhunderten und damit das gesamte Mittelalter hindurch sind es mit Hirsau, Weißenburg, Herrenalb, Maulbronn und Frauenalb (um nur die wichtigsten zu nennen) nicht wenige weitere Klöster, die in und um Bretten durch Schenkungen, Erbschaften und Käufe Grundbesitz, wirtschaftliche Bedeutung und z.T. auch politischen Einfluss gewinnen. Nicht hoch genug eingeschätzt werden kann dabei das Wirken der Mönche und Nonnen bei der Erschließung und Urbarmachung des Landes: vornehmlich die Klöster waren es, die die Rodung von Waldstücken zur Anlage neuer Ackerflächen veranlassten. Die Klöster legten Fischteiche an, führten den nach dem Ende der Römerzeit vergessenen Weinbau wieder ein und pflegten über ihre Amtshöfe und Grangien (Hofgüter) zu ihrer Zeit „moderne“ landwirtschaftliche Anbaumethoden. 

Schrittweise Stadtwerdung

All dies kam auch der Siedlung Bretten zugute, die sich im frühen und hohen Mittelalter kontinuierlich weiter entwickelte. Im Jahre 1149 wird in einer Maulbronner Urkunde erstmals eine Zahlung in „Brettener Münze“ erwähnt, was auf die (zumindest kurzzeitige) Existenz eines eigenen Münzrechtes für die Siedlung Bretten schließen lässt. Da das Münzrecht jedoch fast nie ohne das gleichzeitige Bestehen eines Marktrechtes verliehen wurde, kann man mit Blick auf Bretten auf ein seit mindestens seit 1149 vorhandenes Marktrecht schließen. In einer von den Herren von Eberstein 1254 ausgestellten Urkunde wird Bretten dann schließlich erstmals als „oppidum“ bezeichnet. Es ist noch nicht von einer „civitas“ die Rede, was im damaligen Sprachgebrauch so viel wie „Stadt“ im umfassenden Sinne bedeutet hätte, auch handelt es sich bei der Urkunde um keine Stadterhebung oder Stadtgründung. Doch weist die Bezeichnung Brettens als „oppidum“ darauf hin, dass es sich bereits um eine Siedlung von gewisser Bedeutung handelte, die sich deutlich von den umliegenden rein dörflichen Gemeinwesen abhob. Die Existenz eines Marktes trug hierzu sicherlich in wesentlicher Weise bei. In den folgenden Jahrzehnten traten relativ rasch (noch vor Ende des 13. Jahrhunderts) weitere wichtige Merkmale für eine Siedlung städtischen Typs hinzu, so z.B. die Anlage einer ringförmigen Stadtbefestigung mit mehreren Türmen und Toren.

1349 erfolgte der Übergang Brettens von der Herrschaft der Ebersteiner an die Kurpfalz – bei dieser Landeszugehörigkeit sollte es nun über mehr als viereinhalb Jahrhunderte bleiben. Bretten entwickelte sich in der Folgezeit zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt, an dem sich die Fernhandelsstraßen von Paris über Straßburg nach Prag, von Köln über Speyer nach Zürich und von Venedig über Augsburg nach Frankfurt kreuzten – mit außerordentlich positiven Auswirkungen auf das örtliche Marktgeschehen. 1492 verlieh Kurfürst Philipp Bretten das Recht, zusätzlich zum Wochenmarkt alljährlich auch noch vier Jahrmärkte abzuhalten, die auch von überörtlichen Händlern beschickt wurden. Umgekehrt bauten Brettener Händler Fernhandelsbeziehungen bis zur Frankfurter Messe auf. In der Stadt gab es um 1500 bereits ein vielfach ausdifferenziertes Textil- und Ledergewerbe (Leinen- und Wollweber, Rot- und Weißgerber, Sattler, usw.), deren Produkte auch außerhalb von Stadt und Region gefragt waren. Als Sitz eines kurpfälzischen Oberamtes hatte Bretten zudem eine wichtige Mittelpunktfunktion, die (mit Einschränkungen) auch in der badischen Zeit nach 1803 noch Bestand hatte und mit der Ausweisung Brettens als landesplanerisches Mittelzentrum bis heute noch spürbar ist.

Bretten in voller Blüte

Die Zeit um 1500 war sicherlich die eigentliche Blütezeit Brettens: Gewerbe und Fernhandel florierte, Bretten war nebst Heidelberg die bedeutendste Stadt im rechtsrheinischen Teil der Kurpfalz und als Oberamtssitz nahe der seinerzeit bereits umstrittenen Grenze zum Herzogtum (bis 1495: Grafschaft) Württemberg genoss Bretten die besondere Aufmerksamkeit durch den kurfürstlichen Landesherren. 1497 schließlich wurde am Brettener Marktplatz Philipp Schwartzerdt (später: Melanchthon) als Sohn eines kurpfälzischen Rüstmeisters und Enkel des wohl reichsten Brettener Großkaufmanns geboren. Doch gerade in jener Zeit mehrten sich die Zeichen eines europaweiten und schließlich global wirksamen Umbruchs, einer Zeitenwende bisher nicht gekannten Ausmaßes. Keine fünf Jahrzehnte vorher hatte Johannes Gutenberg in Mainz den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfunden, was eine geradezu explosionsartige Verbreitung von Wissen ermöglicht hatte. Das Weltbild veränderte sich. Die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus 1492 und des östlichen Seewegs nach Indien durch Vasco da Gama 1498 veränderten in ganz Europa auch die Wirtschaftsbeziehungen und Handelsströme. Das Erstarken des städtischen Bürgertums und der Bedeutungsverlust der Ritterschaft brachten die althergebrachte Ständeordnung ins Wanken, zugleich wuchs die Macht der Territorialfürsten zuungunsten der zentralen kaiserlichen Macht. Kurzum: die Zeit um 1500 war eine Epoche bewegender Umbrüche und Veränderungen.

Auch an Bretten ging diese Umbruchszeit nicht spurlos vorüber. Spätestens mit dem Landshuter Erbfolgekrieg des Jahres 1504 machte sie sich in der Stadt massiv bemerkbar. Im Rahmen dieses Krieges, der den gesamten süd- und südwestdeutschen Raum erfasste, wurde Bretten im Sommer 1504 durch ein Heer Herzog Ulrichs von Württemberg belagert. Zwar konnte die Belagerung durch einen Ausfall zurückgeschlagen werden, doch waren die negativen Auswirkungen für die Stadt gravierend. Teile der Stadtbefestigung wurden zerstört oder stark beschädigt und es dauerte Jahre, bis sie mit hohen Kosten wiederhergestellt waren. Die Kurpfalz verlor die Schirmherrschaft über das nunmehr württembergische Maulbronn, Knittlingen, Gölshausen und einige weitere Dörfer, das Oberamt wurde in seiner Ausdehnung beschnitten. Die württembergische Landesgrenze verlief jetzt unmittelbar östlich der Stadt, diese Grenzlage hatte noch bis ins 19. Jahrhundert hinein Auswirkungen auf Zoll, Währung, Maße und Gewichte.

Weitere Kriege, bei denen der Brettener Raum tangiert wurde, folgten: zunächst der Bauernkrieg und knapp 100 Jahre später der Dreißigjährige Krieg, in dem die Stadt insgesamt achtmal von Truppen der unterschiedlichen Konfliktparteien angegriffen, eingenommen und besetzt wurde. Für Bretten brachten diese Konflikte in immer kürzerer Folge lange Phasen der Not und des Hungers sowie gravierendere Störungen der ertragreichen Fernhandelsbeziehungen. Zugleich ermöglichte die immer effizientere Verwaltung des neuzeitlichen Territorialstaates eine Verschärfung des herrschaftlichen „Durchgriffs“ auf die Bevölkerung mit exakten Regulierungen bis tief ins Alltagsleben hinein; als typisches Beispiel hierfür kann der Erlass der „Churfürstlich-Pfältzische Landtsordnung“ von 1582 angesehen werden.

Stadtbrand und mühsamer Neubeginn

Das Anfang des 16. Jahrhunderts noch blühende Gemeinwesen Bretten befand sich somit bereits in einer Phase der Schwächung und des Niedergangs, als im Sommer 1689 ein Ereignis eintrat, das der Stadt den Todesstoß zu versetzen drohte. Im Rahmen des Pfälzer Erbfolgekrieges wurde Bretten von Truppen des französischen „Sonnenkönigs“ Louis XIV. eingenommen, vollständig ausgeplündert und schließlich in systematischer Weise fast komplett niedergebrannt. Ein Großteil jener Bewohner, die dieses für Bretten katastrophale Ereignis überlebt hatten, floh aus der Gegend, die Einwohnerzahl sank zeitweilig auf 80 Personen ab, die für mehrere Jahre in den Kellern ihrer abgebrannten Häuser unterkommen mussten. Unter den wenigen Verbliebenen brach eine Hungersnot aus. Erst nach dem Friedensschluss von Rijswijk, der den Pfälzer Erbfolgekrieg 1697 beendete, konnte mit dem Wiederaufbau der Stadt begonnen werden – einem Wiederaufbau, der sich nicht zuletzt infolge von Geldknappheit und Holzmangel über gut fünf Jahrzehnte hinzog. Auch weitere Kriegsereignisse, die Bretten zu Beginn des 18. Jahrhunderts tangierten (u.a. der Spanische Erbfolgekrieg) hemmten durch Einquartierungen und Kontributionen den Neuaufbau. Noch gut 150 Jahre später prägte der Stadtbrand Wesen und Gesicht der Stadt. So schrieb der badische Oberamtmann Philipp Emil Flad 12851 in einem Visitationsbericht über Bretten:

„Sie <die Stadt Bretten> war in früheren Jahrhunderten weit größer, bedeutender und reicher, als in der Neuzeit, wo sie zu einem gewöhnlichen Landstädtchen mit Amtssitz <…> herabgesunken ist. Sie wurde einmal von einem schrecklichen Brandunglück heimgesucht und dabei zum größten Teile eingeäschert. Von jenem Brandunglücke erholte sich die Stadt nie mehr.“3

Gewisse Konstanten wirkten aber auch über die Katastrophe des Stadtbrandes hinaus weiter. Dies galt insbesondere für die ackerbürgerliche Wirtschaftsweise Brettens, bei der fast alle Bürger (Handwerker, Kaufleute, usw.) zusätzlich zu ihrem in der Stadt selbst betriebenen Erwerb noch landwirtschaftlichen Tätigkeiten draußen vor der Stadt nachgingen. Es galt gleichermaßen für die mit zäher Hartnäckigkeit ausgetragenen Konflikte zwischen Reformierten, Lutheranern und Katholiken. Und es galt auch für die absolutistische Herrschaft der pfälzischen Kurfürsten, die mit ihren Erlassen immer wieder reglementierend in das städtische Leben eingriffen, was 1767 gar zur Aufhebung der kommunalen Selbstverwaltung durch Abschaffung des Rates führte. Bretten war nun, wie es der Historiker Albrecht Straub formulierte, für eine lange Periode der Geschichte eine „Landstadt in der Stagnation“.4

Daran änderte auch der 1803 erfolgte Übergang der Stadt an das Kurfürstentum (später: Großherzogtum) Baden nichts. Zwar war Bretten bis 1936 Sitz eines badischen Bezirksamtes und behielt dadurch eine gewisse Mittelpunktfunktion für das unmittelbare Umland. Die wirtschaftliche Entwicklung jedoch stagnierte. Dies führte zu Abwanderungen (nach Mannheim und Karlsruhe, wo durch die beginnende Industrialisierung Arbeitsplätze entstanden) und zu Auswanderungen (nach Übersee). Erst als Bretten 1853 an das Eisenbahnnetz (Linie Stuttgart- Heidelberg) angeschlossen wurde, setzte eine zaghafte Industrialisierung ein. Zu einem wirklich spürbaren Aufschwung kam es aber erst, als 1879 die Kraichgaubahn von Karlsruhe über Bretten und Eppingen nach Heilbronn durchgängig fertiggestellt und Bretten damit Eisenbahnknotenpunkt geworden war.

Dies führte zu einem Aufschwung Brettens, der rund vier Jahrzehnte – bis zum Ende des Ersten Weltkrieges – andauerte. Gekennzeichnet war diese Epoche durch eine Reihe industrieller Betriebsgründungen (zu nennen sind hier u.a. die Unternehmen Mellert, Kühlapparate-Schmidt, Harsch und – zunächst noch als Handwerksbetrieb – Carl Neff), eine entsprechende Mehrung des Wohlstandes und eine Vielzahl von bürgerlichen Vereinsgründungen und kulturellen Initiativen, unter denen die Errichtung des Melanchthon-Gedächtnishauses zwischen 1897 und 1903 sicherlich die bemerkenswerteste ist. In jener Phase der Stadtgeschichte entstand mit dem Industriebürgertum eine neue städtische Elite, hinter der bezüglich Ansehen und Einfluss die meisten „alten“, noch von Landwirtschaft, Handwerk und und traditionellem Handel geprägten Familien ins „zweite Glied“ zurücktreten mussten.

Der Erste Weltkrieg leitete ein allmähliches Ende dieser Aufschwungsepoche Brettens ein. Die Stadt hatte 260 Tote und Vermisste zu beklagen, das entsprach etwa 10 % der Gesamtbevölkerung. Wichtige Handelsbeziehungen Brettener Unternehmen waren durch den Krieg gestört worden, die bald folgende Inflation vernichtete die Guthaben der Sparer. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund trat im  Laufe der 1920er Jahre in immer extremerer Weise eine weitere stadtgeschichtliche Konstante zutage, die in Bretten schon seit langem immer wieder einmal spürbar war: die tief verwurzelte Abneigung gegen das „Fremde“.

Die Brettener und das „Fremde“

Als Ende des 16. Jahrhunderts reformierte Glaubensflüchtlinge aus dem damals schweizerischen Veltlin nach Bretten kamen – die Familien Paravicini, Gillardon, Cattanäus und einige weitere – wurden sie freundlich aufgenommen und konnten rasch Einfluss im Rat, im Stadtgericht und in den Zünften gewinnen. Die schnelle Akzeptanz dieser Gruppe lag nicht zuletzt daran, dass ihre Angehörigen wohlhabend waren und Geld in die Stadt brachten. Schon gut ein Jahrhundert später, 1699, änderte sich das Bild. Seinerzeit kamen, gerufen vom württembergischen Herzog, einige hundert Waldenser, gleichfalls reformierte Glaubensflüchtlinge aus Piemont, in das östliche Umland von Bretten. Als man eine kleinere Anzahl von ihnen vorübergehend in das Dorf Gölshausen, einen heutigen Brettener Stadtteil, einwies, weil eine eigene Waldenser-Siedlung in der Nachbarschaft (das heutige Großvillars) erst noch gebaut werden musste, kam es in Gölshausen zu massiven Ausschreitungen.

Im 19. Jahrhundert traten diese fremdenfeindlichen Züge noch deutlicher hervor. Die bürgerlich-demokratische Revolution von 1848 begann in Bretten mit einem Pogrom gegen in der Stadt ansässige jüdische Händler. Später, im Kaiserreich, wurde Bretten zu einer Hochburg der sogenannten „Antisemiten-Parteien“. Eine von ihnen, die „Deutsch-Soziale Reformpartei“, gründete im November 1891 ihren Brettener Ortsverein und gewann innerhalb mehrerer Wochen einige hundert Mitglieder. In der Weimarer Republik erzielte dann die NSDAP in Bretten weit überdurchschnittliche Ergebnisse: bei der Reichstagswahl 1930 erhielt sie in Bretten 28,3 % der Stimmen, während es reichsweit 19,3 % waren. Die späteren Judenverfolgungen in der Stadt – 18 jüdische Mitbürger aus Bretten wurden 1940 in das Lager Gurs deportiert, die meisten von ihnen starben später in Auschwitz – wären ohne das engagierte und sicherlich auch überzeugte Mittun der von NSDAP-Mitgliedern durchsetzten Stadtverwaltung kaum in dieser Form möglich gewesen.

Die Auseinandersetzung mit Fremden ging in Bretten auch nach 1945 weiter. 1945/46 kamen fast 3 000 Vertriebene und Flüchtlinge aus Schlesien, der Tschechoslowakei, Ungarn und Slowenien in die Stadt. Die amerikanische Soziologin Benita Luckman schrieb gut zwanzig Jahre später über deren Aufnahme:

„Die Flüchtlinge scheinen lange Zeit eine Art Ghetto-Existenz in Bretten geführt zu haben. Sie wurden bei ihrer Ankunft in Baracken untergebracht, in denen vorher die russischen Zwangsarbeiter gelebt hatten. Dies trennte sie von vornherein und ‚sichtbar‘ vom Rest der Bevölkerung. Gleichzeitig wurden sie allein dadurch auf die niedrigste Rangstufe der Brettener Gesellschaft gestellt. Die Flüchtlinge waren fast ausschließlich katholisch, sprachen einen fremden Dialekt, aßen andere Speisen, trugen Kleider, die den Brettenern seltsam vorkamen. Kurzum, die Flüchtlinge erschienen den Brettenern fremd, unverständlich, vor allem aber lästig.“5

Als dann ab Mitte der 1950er Jahre mit den sogenannten „Gastarbeitern“ der nächste Zuzug von Fremden erfolgte, wiederholten sich entsprechende Verhaltensmuster. Benita Luckman schrieb hierzu:

„Man will nichts mit ihnen zu tun haben, fürchtet sich vor ihnen, wenn man nachts auf den menschenleeren Straßen der Stadt begegnet und hält sie für die unterste Schicht der Gesellschaft. (Zitat eines Bretteners): Nach dem Krieg, wenn da etwas wegkam, dann hieß es, es seien die Flüchtlinge. Und so ist es heute mit den Gastarbeitern.“6

Dr. Peter Bahn
ehemaliger Leiter des Stadtmuseums

Anmerkungen:

1 SCHÄFER, Alfons: Geschichte der Stadt Bretten. Von den Anfängen bis zur Zerstörung im Jahre 1689. Bretten 1977 (Brettener stadtgeschichtliche Veröffentlichungen, Bd. 2) S. 11 f.
2 SCHÄFER 1977, S. 15 (hier auch Faksimilé der Originalurkunde)
3 Zitiert nach STRAUB, Alfred: Geschichte der Stadt Bretten in neuerer Zeit. Bretten 1990 (Brettener stadtgeschichtliche Veröffentlichungen, Bd. 3), S. 29
4 STRAUB 1990, S. 17 f.
5 LUCKMANN, Benita: Politik in einer deutschen Kleinstadt. Stuttgart 1970 (Soziologische Gegenwartsfragen. Neue Folge 35), S- 47
6 LUCKMANN 1970, S.  112

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